Das Haus 2014 – Interiors on Stage
„Das Haus – Interiors on Stage“ ist die großflächige Inszenierung einer Wohnsituation nach den ganz persönlichen Vorstellungen eines jährlich wechselnden, international einflussreichen Designers. Nach der erfolgreichen Einführung des Design-Events der imm cologne durch das Londoner Designteam Doshi Levien (2012) und seiner Fortführung durch Luca Nichetto (2013) nominierte die koelnmesse die dänische Designerin Louise Campbell für „Das Haus – Interiors on Stage 2014“.
Auf der internationalen Einrichtungsmesse imm cologne im Januar 2014 baut sie ein Lowtech-Haus als offenen, flexibel zu nutzenden Raum, in dem die Möbel lediglich Basisfunktion symbolisieren. Flexibilität, Geborgenheit und Raum für Kreativität sind die Hauptanforderungen der Dänin an eine ideale Wohnform.
Ein „Haus“ wie aus Alice im Wunderland
Louise Campbell möchte mit „Das Haus“ Geschichten erzählen. Eine davon folgt dem Motiv von Alice im Wunderland, die während ihrer Abenteuer Miniatur- wie Riesenwelten durchstreifte. Auch in „Das Haus“ scheinen die Größenverhältnisse leicht verschoben, und überlange Tische und Betten sorgen für Verfremdungseffekte. Und so erwartet wohl auch den Besucher von „Das Haus“ 2014 ein faszinierendes Spiel mit den Dimensionen.
„0-100. (Made to measure.)“ heißt die mit Maßstäben und Maßen spielende Inszenierung von Louise Campbell. Der vieldeutige Titel – deutsch: „Ein Haus zum Maßnehmen“ – spielt unter anderem auf die Suche nach einer Balance zwischen hektischer Aktivität und völliger Entspannung an. Auch die im ganzen Haus gegenwärtigen Instrumente und Raster betonen die große Bedeutung, die das Messen und Abwägen für unseren modernen Lebensstil besitzen.
Die Grundgestalt des Hauses spricht die schlichte, aufgeräumte und durch natürliche Materialien bestimmte Sprache des skandinavischen Designs. Ein offener, durch ein Ständerwerk strukturierter Raum wird von Louise Campbell in warmes, einladendes Licht getaucht. Dabei versteht sie ihren Entwurf weniger als Architektur denn als ein Stück Design: „Das Haus an sich kann als ein großes Möbelstück gesehen werden: Es ist eine große Lagereinheit für Menschen. Oder man könnte auch sagen: ein Regal fürs Leben“, so die pragmatische Zusammenfassung der vor allem für ihr Lichtdesign bekannten Designerin. Doch hinter dem Pragmatismus von Haus und Designerin verstecken sich diverse Überraschungen, Poesie und viel Humor.
Louise Campbell gehört zu den führenden Protagonisten einer neuen Avantgarde-Generation von Designern, die die große Tradition der skandinavischen Moderne ihrer Heimat mit Respekt, aber auch mit einem neuen Selbstbewusstsein weiterentwickeln. Die 1970 in Kopenhagen geborene Tochter eines dänisch-englischen Paares ist durch zwei Kulturen geprägt und hat am London College of Furniture und an der Kunsthochschule Dänemark studiert. Zu ihren Kunden zählen unter anderem Louis Poulsen, Zanotta, HAY, Royal Copenhagen, Holmegaard, Stelton, Muuto, Interstop und das Dänische Ministerium für Kultur.
Ein entschleunigtes Haus voller handgemachter Dinge
Eigentlich ist es nicht nur ein Haus, das Louise Campbell da auf der imm cologne mit unglaublich viel Liebe fürs Detail in Pure Village aufgebaut hat – es sind zwei. Zwei in Holzständerbauweise realisierte, idealtypisch geformte Häuser mit offener Balkenkonstruktion, die auf dem Hallenboden versetzt nebeneinander gestellt und dann ineinandergeschoben wurden, so scheint es jedenfalls. Das eine mit weiß, das andere hellgrau gestrichen. Die in der Mitte durch die Überschneidung der Volumen entstandene rechteckige Schnittmenge markiert den Ort, an dem sich Gegensätze vereinen und die zwei Häuser zu einem verschmelzen.
Die 240 m2 einnehmende Konstruktion aus Holzbalken, Lärchenholz-Schindeln und vielen, vielen Stoffen entpuppt sich als eine ästhetisch überaus reizvolle und verführerische Versuchsanordnung. Louise Campbell will ergründen, wie sich Gegensätze durch Design vereinen lassen. Und der größte denkbare Widerspruch unseres Lebens ist in ihren Augen die (Un)Vereinbarkeit von Mann und Frau, von Ratio und Emotion – und das größte Experiment somit eine Partnerschaft zwischen ihnen.
„Ich verstehe nicht, warum wir so etwas Grundlegendes wie Liebe nicht häufiger in Frage stellen“, erklärt Louise Campbell provokant. „Was ist Liebe? Wie geht ein Designer an diese Fragestellung heran? Indem er unsere körperlichen Grundlagen durch Formen darstellt.“ Sie wollte mit „Das Haus“ ein Zuhause entwerfen „für sie und ihn, für schnell und langsam, weich und hart, hell und dunkel, Farbe und Material, britisch und skandinavisch – mit einem ruhigen Bereich in der Mitte, an dem es Eigenheiten, aber keine Konflikte gibt.“ Dabei stehen „Er“ und „Sie“ für die maskulinen und femininen Seiten in jedem Menschen.
Die dänische Designerin zeigt, wie man/frau sich in diesem Widerspruch recht angenehm einrichten kann. Dafür reißt sie auch Wohnkonventionen nieder: „Das Haus“ ist ein einziger großer, offener Raum, das Bett ist ein 16 Meter langes, zum Lümmeln einladendes Wohnmöbel, die Badewanne steht mitten im Wohnbereich, und die Küche gehört bei ihr ins Reich des Mannes. In der Mitte trifft man/frau sich harmonisch am großen Tisch. Es gibt keine Zimmer im eigentlichen Sinne, vielmehr werden die Wohnbereiche durch die Möbel und die Ausstattung definiert.
Dabei sind nicht nur ihre eigenen Entwürfe wie die Lampen LC Shutters von Louis Poulsen und Veryround Chair von Zanotta vertreten, sondern auch diverse Produkte anderer Designer. Alles andere wurde im Kopenhagener Studio von Louise Campbell handgefertigt. Auch etwas Altes sollte nicht fehlen. Daher wurde eine vor 100 Jahren aus Steinzeug produzierte Badewanne aus dem Museumsbestand der Firma Villeroy & Boch organisiert und mitten im Wohnbereich aufgestellt. „Die verschiedenen Bereiche sind nicht durch Wände, sondern durch weiche Stoffe getrennt, die nach Wunsch aufgerollt oder herabgelassen werden können. Es gibt keine Geheimnisse und keinen Druck – die ideale Verbindung und vielleicht sogar tatsächlich das ideale Haus“, beschreibt Louise Campbell ihr innenarchitektonisches Konzept, bei dem alles von innen nach außen gestaltet ist.
Die große Wandfläche im Küchenbereich bildet eines der Highlights von „Das Haus“. Die Küche ist bei Louise Campbell Werkstatt und Kochstätte zugleich. 573 Werkzeuge aller Art hängen hier an die Hauswand. An dem großen Tisch wird gerührt, gemixt, gesägt, gemalt, gehämmert und genäht. Technische Einbauten sucht man vergebens, dafür findet man für jede denkbare handwerkliche Tätigkeit das passende Instrument. Das richtige Maß zu finden – die richtige Mischung aus Ratio und Emotionalität, aus Perfektion und Wohnlichkeit, aus hektischer Aktivität und völliger Entspannung – das ist das große Thema ihres Designs. Wie auch von ihrer Version von „Das Haus“, der sie den Titel „0-100. (Made to measure)“ gegeben hat: ein Haus zum Maßnehmen.
„Ich persönlich fühle mich hier rundum zuhause“, bekennt sich Louise Campbell zu ihrem Haus. „Dort, wo Tapeten mit Blumenmustern in einer Küche nicht ganz oben auf meiner Liste stehen, sind viele schöne Werkzeuge meine erste Wahl. Dennoch schlafe ich lieber in einem anregend dekorierten als in einem klinisch weißen Schlafzimmer.“ In ihrem Haus wird die physische Existenz gefeiert, das Dasein im Hier und Jetzt. Digitale Projektionen fehlen vollständig. Die warme Beleuchtung, die kostbaren Textilien, das bequeme Ruhelager und die vielen verspielten Details und Accessoires sind eine mahnende Erinnerung daran, was Wohn- und Lebensqualität eigentlich ausmacht. Louise Campbell lebt diese Haltung vor und legt beim Aufbau des Hauses lustvoll selbst Hand an: tackert, pinselt, drapiert. Dieses dem Trend der Technikbegeisterung völlig entgegengekehrte Wohnkonzept feiert die klassische Sinnlichkeit und alles Handgemachte. Lewis Carrolls Alice im Wunderland, Sherril Jaffes Scars Make Your Body More Interesting, Jane Austens Sinn und Sinnlichkeit und Wild Mood Swings von The Cure dienten der Designerin dabei als künstlerische Inspiration.